Inklusion in der Schule – mehr als ein gut gemeintes Konzept
- Tina Haldi
- 22. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Wenn wir heute über Inklusion in Kindergärten und Schulen sprechen, dann klingt das oft schön: „Alle Kinder dürfen dazugehören. Schulen für alle!“ Doch was wird wirklich gelebt?
Was ich im Alltag sehe – und viele von euch, ob als Eltern, Fachpersonen oder selbst Betroffene auch – ist etwas ganz anderes: Kinder, die „auffallen“, bekommen ein paar Förderstunden mehr. Vielleicht eine Assistenzperson für wenige Stunden. Aber das System selbst bleibt gleich. Der Unterricht bleibt gleich. Die Haltung bleibt gleich. Und damit bleiben viele Kinder – gerade jene im Autismus-Spektrum – auf der Strecke.
Echte Inklusion beginnt bei der Haltung
Ein Kind im Spektrum braucht mehr als eine zusätzliche Stunde Unterstützung. Es braucht ein Umfeld, das es versteht. Es braucht eine Lehrperson, die erklären kann, warum man im Kindergarten aufstrecken soll, bevor man spricht – nicht nur, dass man es tun soll. Kinder im Spektrum brauchen das Warum. Den Zusammenhang. Sonst ist es ein leerer Befehl.

Auch die Anforderungen an Selbstständigkeit sind oft nicht angepasst. Kinder im Spektrum zeigen teils sehr früh besondere Fähigkeiten – wie meine Tochter, die sich mit 1,5 Jahren selbstständig das Schuhe Anziehen und Reisverschluss zumachen beibrachte. Nicht, weil es von ihr erwartet wurde. Sondern weil es sie interessiert hat. Und doch wird dieses Kind am Ende des Kindergartenvormittags, nach 3,5 Stunden Überreizung, Lärm, sozialen Anforderungen, Bewegungsregeln und ständiger Reizüberflutung dafür bewertet, ob sie sich allein anziehen kann. Das Problem liegt nicht in der Fähigkeit. Sondern in der Erschöpfung.
Was müsste sich ändern?
In der Ausbildung der Lehrpersonen braucht es ein klares Modul zur Neurodivergenz, zu Autismus und ADHS – nicht nur Grundlagen, sondern tiefes Verständnis:
Wie zeigt sich Autismus bei Mädchen?
Was bedeutet PDA (Pathological Demand Avoidance) im Schulalltag?
Wie baue ich Beziehungen auf Augenhöhe auf, ohne meine Führungsrolle zu verlieren?
Wie nutze ich Spezialinteressen als Brücke zum Lernen?
In der Haltung im Klassenzimmer braucht es ein Umdenken:
Inklusion heisst nicht, dass alle dasselbe tun – sondern dass alle dabei sein dürfen, auf ihre Weise. Dass Unterschiede nicht „begleitet“, sondern wertgeschätzt und eingeplant werden.
In der Systemstruktur braucht es mehr als Konzepte wie „Schulen für alle“. Diese sind gut gemeint – auch hier in Luzern, wo eine Person ein neues Konzept für die kommenden zehn Jahre entscheidet. Aber wenn das System mit dem alten Wissen und denselben Instrumenten weiterarbeitet, wird es nicht tragfähiger. Dann werden Kinder einfach nur dazugesetzt – nicht eingebunden.
Aktuell fallen viele Kinder raus aus dem Schulsystem. Nicht, weil sie nicht lernen könnten. Sondern weil der Rahmen, in dem Lernen stattfinden soll, nicht auf sie passt. Weil die Schule nicht bereit ist, sich zu bewegen. Und sie reden aber von mit den Veränderungen mitgehen oder gar voraus sein!
Inklusion ist keine Einladung. Sie ist ein Perspektivenwechsel.
Und ja, das braucht mehr Wissen. Mehr Schulung. Mehr Reflexion. Vor allem aber: eine andere Haltung. Eine Haltung, die fragt: Was brauchst du, damit du hier sein kannst? – und nicht: Wie bringe ich dich dazu, wie die anderen zu funktionieren?
„Inklusion beginnt nicht im Klassenzimmer – sondern in der Haltung jedes Erwachsenen und somit jeder Lehrperson.“
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